Mitgefühl

Mitgefühl Neue Studien zu einer alten Tugend

Mitgefühl tut gut. Das hat fast jeder schon erfahren. Aber woher kommt es? Wer empfindet es für wen und warum? Die spirituellen Traditionen lehren Mitgefühl seit Jahrtausenden. Wissenschaftlich erforscht wird es aber erst seit ein paar Jahrzehnten. Und das Interesse nimmt zu. Evolutionstheoretiker, Hirnforscher und Psychologen versuchen herauszufinden: ist Mitgefühl angeboren? Ist es eine ethische Qualität, die man trainieren kann? Entsteht es aus dem Zusammenwirken neuronaler und hormoneller Aktivitäten im Gehirn?

Was ist Mitgefühl?

Mitgefühl ist ein positives Gefühl. Es entsteht angesichts von Leid, doch neuronal wird es von demselben Brennstoff befeuert wie auch Gefühle von Liebe, Verbundenheit und Friedfertigkeit. Wir wissen heute: Reagieren Menschen auf Leid mit Mitgefühl, ruft das starke positive Gefühle wie Freude, Glück, Neugier und Optimismus hervor.

Mitgefühl ist nicht …

Mitgefühl ist zum Beispiel nicht Mitleid. Mitleid wäre zu sagen: "ach, du Arme!", also sich nicht im andern wieder zu erkennen. Und sich davor vielleicht auch zu schützen, den Schmerz des anderen zu empfinden. Mitgefühl ist auch nicht schwach.

Es ist etwas, das Mut und Kraft braucht, um hilfreich zu handeln und dem Anderen entgegenzukommen. Mitgefühl ist auch keine Beziehung wie die zwischen einem Heiler und einem Verwundeten. Es ist eine Beziehung zwischen Gleichen. Mitgefühl wird dann real, wenn wir uns unseres gemeinsamen Menschseins bewusst werden.

Forscher dürfen jetzt fühlen

Die seriöse wissenschaftliche Erforschung von Mitgefühl fängt gerade erst an. Studien zu Achtsamkeit gibt es seit Beginn der Achtzigerjahre, aber zu Mitgefühl erst seit kurzem. Richard Davidson arbeitet zu beidem: zu Achtsamkeit und Mitgefühl. Er ist Professor für Psychologie und Psychiatrie und Leiter des Forschungslabors für Affektive Neurowissenschaften an der University of Wisconsin in Madison. Als er vor rund 30 Jahren mit Kollegen darüber sprach, dass er zu Achtsamkeit forschen wolle, warnten sie ihn: „Damit setzt du deinen Ruf als seriöser Wissenschaftler aufs Spiel!“

Dass er sich dem Thema dann doch zuwenden konnte, verdankt er, wie viele seiner Kollegen, dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn. Dieser begann Ende der Siebzigerjahre an der Harvard Medical School die Wirkung von Achtsamkeit für Patienten zu erforschen und entwickelte die Methode der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, MBSR. Damit ebnete er den Weg für seriöse Studien zu vermeintlich rein spirituellen Themen - wie eben auch Mitgefühl.

Warmherzigkeit

Paul Gilbert, Professor für Klinische Psychologie an der University of Derby war einer der ersten, die sich wissenschaftlich mit dem Phänomen Mitgefühl auseinandersetzten. 2009 erschien sein 600 Seiten starkes Buch zum Thema – das erste überhaupt in einem wissenschaftlichen Zusammenhang. Paul Gilbert hatte kaum Vorbilder, auf die er sich stützen konnte.

Umso mehr inspirierte ihn die Bindungstheorie des Kinderpsychiaters John Bowlby. Der hatte zu Beginn der Fünfzigerjahre herausgefunden, dass die liebevolle und fürsorgliche Zuwendung der Mutter sich nicht nur auf die Entwicklung des Säuglings auswirkt, sondern auch auf das spätere Leben des Erwachsenen.

Anteilnahme

Das wiederum, fanden Neurowissenschaftler später heraus, beruht darauf, dass es zwei unterschiedliche Stränge oder Systeme von positiven Emotionen gibt. Es gibt das dopamingesteuerte System, in dem man sich beispielsweise über einen Lottogewinn sehr freuen kann. Diese Art von Glücksgefühl ist unter neurobiologischen Gesichtspunkten sehr kurzlebig. Dieses System der Belohnung hat auch damit zu tun, dass man sich zum Beispiel in der Arbeit profilieren und einen bestimmten Status haben möchte. Und das zweite System ist das Beruhigungs- und Affilationssystem.

Rücksicht

Viele denken, Empathie gäbe es nur bei Menschen. Das kommt vermutlich daher, dass Psychologen ein sehr kognitives Verständnis von Empathie haben. Nach dem Motto: Empathie bedeutet, ich kann mich in die Lage eines anderen versetzen, und das können eben nur Menschen, weil nur sie über Vorstellungskraft verfügen.

Aber alle Säugetiere haben eine Verbindung zu den Emotionen anderer, und das beginnt vermutlich mit dem mütterlichen Fürsorgeverhalten, das bei allen vorhanden ist. Die weiblichen Säugetiere müssen auf die Gefühle ihrer Nachkommen achten, weil sie sie sonst verlieren. Sie müssen wahrnehmen, ob sie Hunger haben oder frieren oder in Gefahr sind. Empathie beginnt also bei den Säugetieren. Und aus Studien mit Menschenaffen lässt sich schließen, dass einige Primaten sogar über Vorstellungsvermögen verfügen.

Ein weiblicher Bonobo zum Beispiel, also eine Zwergschimpansin, verblüffte mit einer äußerst phantasievollen Rettungsaktion: Sie hatte einen Vogel gefunden, der gegen eine Glasscheibe geflogen war und betäubt auf dem Boden lag. Hob ihn hoch und trug ihn an den höchsten Punkt des Geheges, einen Baumgipfel. Dort entfaltete sie seine Flügel und schickte ihn wie ein kleines Flugzeug in die Luft.

Dieses Bonobo-Weibchen hatte also eine Vorstellung davon, was einem Vogel gut tun könnte. Mit einem Affen hätte es das nicht gemacht. Es hat nicht viel gebracht, denn der Vogel war in keiner guten Verfassung, aber es war ein guter Versuch. Und es zeigt, dass es in der Lage war, sich in jemand anderen hineinzuversetzen.

Wohlwollen

Empathie ist ein neutraler Begriff. Deshalb assoziieren wir ihn gerne mit etwas Positivem wie Mitgefühl zum Beispiel. Aber Empathie bedeutet nur, dass man sich mit der Situation und den Gefühlen eines anderen verbindet. Das kann man auf eine gute Art tun. Aber auch in einem negativen Sinne.

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl: Wenn wir für eine Person, die traurig ist, Empathie empfinden, fühlen wir uns selbst traurig. Bringen wir ihr Mitgefühl entgegen, empfinden wir stattdessen teilnehmende Sorge für diese Person und zugleich die Motivation, ihr Leid zu lindern. Was wiederum, auch das ergaben jüngere Studien, zugleich das eigene Wohlbefinden und den eigenen Heilungsprozess fördert.

Aufrichtigkeit

Es waren Jahrtausende lang die Religionen und spirituellen Traditionen, die Mitgefühl und Achtsamkeit lehrten und einforderten. Und so ist es kein Zufall, dass diese Themen heute oft Forscherinnen und Forscher interessieren, die Buddhisten sind und die Verbindung zwischen ihrer privaten spirituellen Praxis und ihrer berufliche Forschungsarbeit nicht scheuen.

Eine der ältesten buddhistischen Praxisübungen ist die Liebende-Güte-Meditation. Der Text, den die Übenden dabei sprechen, ist nicht strikt vorgegeben, jeder kann ihn nach den eigenen Bedürfnissen variieren. Immer jedoch beginnt er mit guten Wünschen für sich selbst. Die Wünsche für sich selbst sollen das Herz des Meditierenden öffnen. Dann kann man die guten Wünsche für geliebte Menschen aussprechen, für Wesen, die leiden, und so weiter. Im traditionellen Sinne wird unter Mitgefühl nicht so sehr ein praktisches Verhalten verstanden, sondern eine grundlegende Geisteshaltung.

Entgegenkommen

Wir haben jede Menge Selbstwertgefühl, wenn alles gut läuft und die anderen uns mögen. Aber es lässt uns im Stich, wenn uns etwas misslingt und wir uns abgelehnt fühlen. Selbstmitgefühl dagegen beinhaltet keine Selbstbewertung. Es beinhaltet einfach nur, dass wir liebevoll und verständnisvoll mit uns umgehen und uns voller Mitgefühl bewusst sind, dass es schwierig sein kann, ein menschliches Wesen zu sein.

Mitgefühl ist eine Beziehung zwischen Gleichen

Mitgefühl ist eine Beziehung zwischen Gleichen

Selbstmitgefühl springt genau in dem Moment in die Bresche, in dem uns das Selbstwertgefühl im Stich lässt. Und man kämpft und Hilfe braucht. Man könnte also sagen, Selbstmitgefühl ist ein guter Freund, der dich nie verlässt. Und das Selbstwertgefühl ist ein Schön-Wetter-Freund, der nur in guten Zeiten präsent ist.

Herzlichkeit

Gerade in einer Gesellschaft, in der oft der Innere Kritiker oder die Innere Kritikerin das große Wort führen. In der die Devise lautet: „Halt die Ohren steif!“ und nicht, „Nimm dich mal liebevoll in den Arm!“ Viele verwechseln Selbstmitgefühl auch mit Selbstmitleid und Egozentrik, und lehnen es deshalb ab. Doch das eine unterscheidet sich deutlich vom anderen. Zu Mitgefühl gehört die Einsicht in die geteilte menschliche Erfahrung.

Wenn man also Selbstmitgefühl aktiviert, ist man sich bewusst: Ich leide nicht alleine. Alle Menschen machen die Erfahrung von Unvollkommenheit, Versagen und Schmerz. Selbstmitgefühl ist nichts Egoistisches. Denn je mehr liebevolle Unterstützung man sich selbst gibt, desto mehr emotionale Ressourcen hat man für andere übrig. Logisch: Wenn man sein Herz für sich öffnet, ist das Herz offen.

Von Ingrid Strobl; Internetfassung: Ulrike Barwanietz

 

Quelle: http://www.swr.de/swr2/wissen/mitgefuehl-neu-studien/-/id=661224/sdpgid=783725/gp4=autostart/nid=661224/did=11286912/yncttx/index.html

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Heiner Diepenhorst (Freitag, 19 April 2013 17:20)

    Schöne Gedanken zum Thema Familienaufstellung, vielen Dank! Der Artikel gibt mir - mal wieder - wichtige Impulse für mein Coaching. Viele Grüße aus Berlin, Heiner Diepenhorst

  • #2

    tsewa (Dienstag, 23 April 2013 10:12)

    Vielen Dank und viel Erfolg und Freude mit den Impulsen! Beste Grüße aus Berlin Friedrichshain in die Chausseestrasse, Catarina Skirecki

  • #3

    Manije Khabirpour (Dienstag, 24 Juni 2014 10:21)

    Vielen Dank für die Infos zum Thema Familienaufstellung
    Liebe Grüße aus München

    Coaching
    Khabirpour

  • #4

    Pamela Lorenz (Dienstag, 24 Juni 2014 10:30)

    Herzlichen dank, für die vielen Infos zum Thema Familienaufstellung. Viel grüße aus Hamburg
    Coaching Pamela Lorenz.

  • #5

    QML24 (Freitag, 09 Oktober 2015 13:04)

    Nicely explain Compassion is a relationship equality. Thank you. Best wishes from Ritterhude, QML24.