Mitgefühl lässt sich wie ein Muskel trainieren

Ein Interwiew mit Tania Singer

 

In der Kunst der Achtsamkeit üben sich zurzeit Studenten der Medienkunst/Mediengestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar. In diesem Rahmen steht in einem Vortrag am Dienstag Abend die Empathieforschung im Mittelpunkt.

Leipzig/Weimar. Professor Tania Singer, Direktorin der Abteilung Soziale Neurowissenschaft am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, erklärt darin, wie Mitgefühl und Empathie kultiviert werden können. Vorab sprach sie mit uns darüber.

 

 

Frau Singer, in der Ankündigung zu Ihrem Vortrag heißt es, Sie arbeiten auch mit buddhistischen Mönchen zusammen. Was macht sie für die Empathieforschung interessant?

 

 

Sie sind Meister des mentalen Trainings und der prosozialen Motivation und haben über viele Jahre Empathie und Mitgefühl trainiert, so wie zum Beispiel ein virtuoser Pianist täglich übt und für eine Studie über die Verknüpfung zwischen Hirn und Motorik in Frage käme. Bei "unseren" Experten, die übrigens nicht nur tibetische Mönche aus Asien sind, sondern auch europäische Spezialisten, messen wir im Scanner ihren Bewusstseinszustand, während sie negative Stimuli präsentiert bekommen. Dann schauen wir uns an, wie das Gehirn diese Informationen aufnimmt, wenn der Proband in neutralem Zustand ist - und wenn er durch Meditation z.B. starkes Mitgefühl aktiviert hat.

 

 

Wie funktioniert das, Mitgefühl trainieren?

 

 

Jeder von uns kann bis zu einem bestimmten Grad Mitgefühl aktivieren. Es ist zum Beispiel verankert im Mutter-Kind-Bindungssystem und äußert sich in unkonditioneller Liebe und Fürsorge der Mutter ihrem Kind gegenüber. Selbst Ratten haben dieses Motivationssystem. Und so, wie Sie in einem Fitnessclub Ihre Muskeln trainieren können, kann man auch mentale Zustände wie Empathie und Mitgefühl weiterentwickeln. Das lernen buddhistische Mönche wie der berühmte Matthieu Ricard oder Menschen, die für mehrere Jahre in Retreat (spirituelle Ruhephase, Anm. d. Red.) gehen, über Jahre mit verschiedenen Meditationsformen. In der westlichen Welt ist diese Kultur weniger lebendig als in Asien. Aber, damit keine Missverständnisse entstehen: Das ist nur ein Aspekt unserer Forschung - und meines Vortrags.

 

 

Worauf liegt Ihr Schwerpunkt heute Abend?

 

 

Es geht zunächst einmal um die Grundlagen der Sozialen Neurowissenschaft, ein noch junger Forschungsbereich, der psychologisch, neurowissenschaftlich und multimethodisch arbeitet. Ich werde erklären, wie Empathie und emotionale Resonanz funktionieren: Wie kann ich Sie verstehen und wie Sie fühlen, obwohl ich nicht in Ihrer Haut stecke? Wie löst mein Gehirn diese Brücke zur Intersubjektivität? Und lassen sich soziale Emotionen wie die Empathie und das Mitgefühl auch bei Laien kultivieren? Im Rahmen einer einjährigen Langzeitstudie, dem Re-Source Projekt, werden wir 200 Laien, Menschen wie Sie und ich, dabei begleiten, wie sie unterschiedliche mentale Fähigkeiten wie Achtsamkeit und Mitgefühl erlernen, und untersuchen, wie sich das auf ihr subjektives Erleben, ihr Gehirn, ihre Gesundheit und ihr Sozialleben auswirkt.

 

 

Mehr Mitgefühl soll Stress reduzieren helfen. Wo besteht die Verbindung?

Wenn Sie ständig im Leistungssystem stecken, in diesem Mehr-erreichen-Wollen oder aber im "Ich-bin-nicht-gut-genug"-Credo, dann können Sie keine Entspannung oder kein Selbst-Mitgefühl empfinden. Das Motivationssystem, das uns Ziele erreichen und Leistung produzieren lässt, ist zwar überlebenswichtig. Doch müssen wir auch manchmal einfach zur Ruhe kommen. Emotionen wie Liebe und Akzeptanz stellen sich nicht in Stress- oder in Angstsituationen ein - sie werden dann sogar gehemmt. Fürsorge und positive warme Gefühle entspringen mitunter auch dem sogenannten Bindungssystem, was z.B. auch durch Massagen aktiviert werden kann. Wenn wir beide Systeme nicht in ein Gleichgewicht bringen, entstehen stressbedingte Krankheiten. Wünschenswert wäre daher, mithilfe der Langzeitstudie eine wissenschaftlich fundierte Trainingsmethode zu entwickeln, über die wir die Fähigkeit wiederentdecken, zur Ruhe zu kommen und Akzeptanz zu uns selbst und anderen zu entwickeln.

 

 

Ist das ein Versuch, buddhistische Lehren in die Wissenschaft zu übertragen?

 

 

Nein. Das Programm, das wir entwickeln, ist komplett säkular. Aber wir wollen herausfinden, wie uns die Herangehensweise der Mönche helfen kann, die seelische Gesundheit Aller zu fördern. Damit der Mensch sich letztendlich selbst dabei hilft, seine verlorene innere Balance zurückzugewinnen.

 

 

Wie schnell oder langsam lernt ein Laie dieses Mitgefühl?

 

 

Durch einwöchige Trainings haben wir erste Befunde, dass die Probanden schon nach kurzer Zeit die Tendenz für pro-soziales Helfen vergrößern und mit positiverem Affekt auf negative Situationen, in denen andere Personen großes Leid ertragen mussten, reagieren können. Normalerweise reagiert man z.B. auf negative oder grausame Nachrichtenbilder mit stark aversiven Gefühlen, die mit einem bestimmten Netzwerk im Gehirn einhergehen, das auch bei eigenem Stress aktiviert sein kann. Nach einem "Compassion"-Training begegnet man denselben Szenen mit einem positiveren, warmen Affekt, der mit Fürsorge verbunden ist. Mit dieser kultivierten Compassion blockt man zwar keine negativen Gefühle ab oder unterdrückt diese, man setzt sich also weiterhin dem stressvollen Material aus. Doch hat man etwas gelernt, das einen vor zu großem empathischen Stress schützt und eine gewisse Resilienz gibt.

 

 

Aber bietet Distanz nicht auch Schutz, damit aus Mitgefühl kein hilfloses Mitleid wird?

 

 

Ja, auch hier geht es um ein Gleichgewicht. Viele Ärzte zum Beispiel blocken alle Gefühle ab oder werden zynisch, um mit dem Leiden anderer umgehen zu können. Wenn man auf der anderen Seite zu stark empathisch ist, geht es einem selbst auch schlecht und man hilft dem Patienten nicht. Ein Mitgefühl-Training würde Ausgleich schaffen. Ärzte oder Rettungshelfer zum Beispiel könnten Methoden lernen, um Empathie in Mitgefühl zu transformieren und damit mit dem Leid ihrer Patienten auf eine sehr viel adaptivere Weise umgehen zu können.

 

 

 

Franziska Nössig / 07.05.12 / TLZ

 

 

 

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